Testbericht: No More Heroes
Goichi „Suda 51“ Suda bringt mit No More Heroes eines der wohl provokativsten Spiele überhaupt auf Nintendos Wii. Nach Killer 7 folgt mit dieser Hommage an das Perverse dieser Zivilisation und der Überordnung von Stil über Technik und Grafik ein weiteres Meisterwerk aus den Schmieden der Grasshopper Manufactures. Einzig die Zensur bzw. die komplette Wegrationalisierung der bösen Farbe Rot könnte die Massaker-Party in ihre Schranken weisen.
Punk’s not dead!
Bereits kurz nach dem Einlegen der Spiele-CD bemerkt man, dass sich hier kein normales Spiel im Slot der Wii-Konsole befindet. Seltsame Töne, konfuses Design und das Fehlen eines zum Standard gewordenen Start-Menüs unterstreichen dieses nicht mehr weg zu bekommene Gefühl. Es wird schmutzig, pervers und abgrundtief bizarr. Willkommen in der Welt von Travis Touchdown: Santa Destroy!
Zu Beginn des Abenteuers stellt Travis mit Ernüchterung fest, dass er durch ein gerade ausgeführtes Attentat in ein Spiel verwickelt wurde, dem er so leicht nicht mehr entrinnen kann. Den Mann, den er soeben abgeschlachtet hat war niemand geringeres als die Nummer 11 der Rangliste der United Assasins Association (UAA). Seine Auftraggeberin Sylvia Christel, die Travis übrigens gehörig den Kopf und etwas tiefer sitzende Körperteile verdreht hat, brachte den Protagonisten damit in eine ausweglose Situation: fortan muss Travis töten, töten, und noch mehr töten, um die Nummer 1 der US-Killer zu werden und sich so gleichzeitig vor Neidern seines Ranges zu schützen. Wie praktisch und zufällig, dass die Sahneschnitte Sylvia diese Rangkämpfe arrangiert. Um Travis noch mehr für sich und die Kämpfe zu begeistern, sagt sie ihm zu, dass er es mit ihr treiben kann sobald er die Nummer 1 ist.
Willkommen im Garten des Wahnsinns
Travis ist ein Loser so wie er noch in keinem Buche steht. Ausgestattet mit einem bei einem Internetauktionshaus ersteigertem Beam Katana – einer Art Laserschwert – und ein paar von irgendwelchen Videos erlernten Wrestling-Moves versucht sich der Antiheld durch die bizarre und verstörende Welt von Santa Destroy zu schlagen. Der Anime-verliebte Pro-Wrestling-Fan lebt von Pizza, Pornos und Bluttaten und filmt sich regelmäßig beim Besteigen seiner Kopfkissen. Dies scheint seinen Lebensinhalt auch schon völlig zu umfassen. Doch kommen wir zurück zu den Rangkämpfen, die den einig erkennbaren Faden in diesem Spiel darzustellen scheinen.
Der Ablauf ist immer der gleiche. Nach der erfolgreichen Ermordung eines Attentäters kehrt Travis zurück in sein Appartement im „No More Heroes“ Motel. Dort angekommen, muss unser Antiheld erst einmal die Toilette aufsuchen um so den Spielstand zu speichern. Toiletten stellen übrigens im gesamten Spiel die einzige Möglichkeit dar seinen verzapften „Scheiß“ auf dem Flashspeicher der Wii zu bannen. Nachdem sich Travis seinen Allerwertesten mit reichlich Klopapier abgewischt hat, gibt es meist eine Nachricht der Videothek und der UAA auf dem im Schlafzimmer befindlichen AB. Hier erfährt man welchen billigen Porno Travis mal wieder vergessen hat rechtzeitig zurückzubringen. Viel wichtiger dürfte jedoch die anschließende Nachricht der UAA sein. Denn die Teilnahme an den Rangkämpfen ist keinesfalls kostenlos. Das bringt uns auch schon zum nächsten wichtigen Element des Spiels. Um die geforderte Summe zusammenzubekommen gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder führt man einfache Attentate aus oder man nimmt einfach einen kleinen, meist eher schlechtbezahlten Job beim Arbeitsamt an. Bei den Attentaten muss entweder eine bestimmte Zielperson getötet oder eine ganze Gruppe von Gegnern in einer bestimmten Zeit niedergemetzelt werden. Die Bezahlung reicht dabei von einer festgelegten Summe, bis hin zu einer Prämie für jedes getötete Opfer. Die Teilzeitjobs beim Arbeitsamt präsentieren sich dem Spieler als Minispiele der etwas anderen Art. Hier müssen Kokosnüsse eingesammelt, Müll aufgehoben, Autos betankt, Minen gesucht und gesprengt und viele weitere kleinere Arbeiten erledigt werden. Mit dem erarbeitetem Geld kann man anschließend zu einem speziellen Geldautomaten fahren und die geforderte Summe für den Rangkampf bezahlen. Nach einer kurzen Pinkelpause steht anschließend der Eingang zum nächsten Kampf offen. Die Kämpfe an sich sind recht abwechslungsreich und fordern vom Spieler nach und nach immer mehr taktischen Kampfgeist. Je nach Rang kann so ein Kampf auch schon einmal recht langwierig werden und zu Krämpfen in den schweißgetränkten Fingern des Gamers führen. Die absolut skurrilen und wirklich genial in Szene gesetzten Gegner fordern dem Spieler einiges ab. Das plumpe drauflos Kloppen, dass bei den Attentäter-Missionen meist noch ausreicht, ist hier nicht mehr angebracht.
GTA meets Tarantino
Santa Destroy bietet jedoch weitaus mehr als immer nur diesen hier beschriebenen gleichen Ablauf. Wie wäre es beispielsweise mit Shopping? Travis liebt das Shoppen. In einem kleinen Laden finden sich neben Jacken, Sonnenbrillen, Hosen und Gürtel auch eine Unzahl von T-Shirts die im heimischen Appartement nach Belieben gewechselt und kombiniert werden können.
Oder vielleicht doch lieber eine kleine Spritztour mit Travis‘ recht außergewöhnlichem Motorrad? Mit dem gesammelten Geld und dem praktischen Gefährt lassen sich nach und nach viele Möglichkeiten ausmachen sich seiner Kohle zu entledigen. Da gibt es beispielsweise die Videothek, in der sich Travis Videos mit neuen Wrestling-Moves kaufen kann um diese zu erlernen und seinen Kampfstil zu verbessern. Oder das Labor von Dr. Naomi, die ständig an neuen Teilen für das Beam Katana arbeitet und sogar völlig neue Schwerter erstellt. Oder auch Thunder Rye, dem leicht pervers anmutendem Meister von Travis, der ihm durch hartes Training und verbaler Belästigung zu mehr Kraft und Ausdauer verhilft.
Santa Destroy ist das GTA, dass Tarantino erschaffen hätte, wenn nicht Suda 51 schneller und vor allem prädestinierter gewesen wäre. Eine skurrile Stadt mit dubiosen Läden und Schauplätzen. Hier kann man sich völlig frei bewegen, ob zu Fuß oder mit dem Motorrad. Die recht menschenleere Stadt ist mit ein paar immer wieder kehrenden Menschen und Autos bestückt, mit denen keinerlei Interaktion möglich ist. Genauer gesagt trifft diese Aussage auf die komplette Stadt zu. Es ist nicht viel los. Einzig die Suche nach so genannten Lovikov Bällen oder das Auftreten von Müllcontainern um an neue T-Shirts und ein bisschen Kleingeld zu kommen ist die Erkundung von noch so engen Gassen wert. Nur auf den in der Karte verzeichneten Markierungen spielt sich das eigentliche Geschehen meist innerhalb von Gebäuden oder eingezäunten Arealen ab.
Die Steuerung
Bewaffnet mit Nunchuk und Wii-Remote fühlt man sich durch die wirklich gelungene Einbindung der Bewegungssensorik absolut ins Spielgeschehen integriert. Der Kampf mit dem Katana Beam besticht zwar nicht durch eine 1:1-Schwertführung, diese wäre jedoch auf Dauer auch viel zu ermüdend. Vielmehr dient hier die Kombination aus Z-, A- und B-Taste als die primäre Angriffsvariante. Der Z-Knopf dient zum anvisieren der Gegner. Einmal erfasst lässt sich der Gegner mit der A- und B-Taste bearbeiten, mit dem Steuerkreuz kann der Spieler im anvisierten Zustand nach links, recht oder hinten ausweichen. Die A-Taste steuert das Katana Beam und lässt Travis eine Vielzahl verschiedener Kombinationen ausführen. Dabei wird zwischen hohen und tiefen Schlägen unterschieden, die je nach Haltung der Wii-Remote zum Einsatz kommen. Nach ein paar gefruchteten Treffern führen diese zum so genannten Death-Blow-Modus. In diesem Modus erscheint ein Pfeil, der die Richtung angibt in die die Wii-Remote geschwungen werden muss um dem Gegner den finalen Todesstoß zu verpassen. Manchmal fängt ein Opponent einen ausgeführten Angriff ab und dann kommt es zu einem Zusammenprall der Waffen. Mit einer schnellen, kreisförmigen Bewegung der Wii-Remote muss der Gegner nun zurückgedrängt werden und kann anschließend wieder angegriffen werden. Jedoch sollte hier noch erwähnt werden, dass das Beam Katana nicht über unbegrenzte Energie verfügt, was dazu führt, dass es hin und wieder aufgeladen werden muss. Durch das schnelle Drücken der 1-Taste kann dies jedoch innerhalb weniger Sekunden erfolgen. Ein weiteres nettes Feature stellt der Einsatz des B-Knopfes dar. Hiermit lässt sich ein Schlagangriff ausführen, der bei richtigem Timing zur Betäubung des Gegners führt. Anschließend kann dieser durch das erneute Drücken der Taste ergriffen und mit einer der zahlreichen Wrestling-Angriffe zur Strecke gebracht werden. Auch hierbei wird die Sensorik von Nunchuk und Wii-Remote nahezu perfekt eingesetzt. Der ergriffene Gegner wird durch den Schwung in die auf dem Bildschirm angezeigten Richtungen mit beiden Controllern gleichzeitig zu Boden geworfen und vernichtet.
Grafik und Sound
Wie schon im Einleitungstext erwähnt, ist der Stil, der in diesem Spiel verwendet wurde auch gleichzeitig der Träger der Gesamtstimmung des Spiels. Hier kann man keineswegs von einer Grafikperle mit besonders ausgefeilten Texturen oder realistischer Optik sprechen. Denn der bis zum Erbrechen stilisierte Cel-Shading-Look des Spiels ist alles andere als fein geschliffen. Dies ist jedoch absolut beabsichtigt und passt wie die Faust aufs Auge. Hier und da hätte man sich sicherlich etwas mehr Mühe geben können, jedoch fesselt die im Spiel aufgebaute Atmosphäre den Spieler nach kurzer Zeit so dermaßen, dass man selbst die gröbsten Patzer verzeiht. Insgesamt ist jedoch zu verzeichnen, dass das Spiel auch durchaus ohne Probleme auf dem GameCube möglich gewesen wäre und es die Technik der Wii nicht voll ausschöpft.
Gitarrenriffs, Punk- und Trashmelodien gespickt mit Arcarde-Sounds und recht unbeschreiblichen Tönen. Die Soundkulisse in diesem Spiel ist wie eine Achterbahnfahrt durch den Kopf eines drogenabhängigen und geistesgestörten Gehirns. Auch der Lautsprecher der Wii-Remote wird dabei absolut genial in Szene gesetzt. Das Schwingen des Beam Katanas wird zum Gourmetschmaus für alle Star Wars Fans. Denn der blecherne und unsaubere Sound eines Laserschwerts wird aus dem Fernseher heraus in die Hand des Spielers getragen und lässt ihn so noch tiefer ins Spielgeschehen eintauchen wie es kaum ein anderes Wii-Spiel zuvor geschafft hat.
Fazit
Auch wenn es verbugt ist, auch wenn es technisch nicht ausgereift ist, auch wenn es grafisch nicht allen Ansprüchen gerecht wird, ist mit No More Heroes ein Spiel für die Wii erschaffen worden, dass trotz seiner Fehler in jeder Hinsicht zu begeistern weiß. Auch die komplette Wegrationalisierung der Blutfontänen kann der Stimmung des Spiels nichts anhaben. Sicherlich stellt die rote Farbe ein starkes Stilelement dar, jedoch reicht die Szenerie an sich und deren kaputten Charaktere aus um das bizarre und brutale Image des Spiels zu tragen. Denn das Spiel ist auch ohne Blut ein einziger Rausch. So schnell und laut wie ein Punkkonzert, so schrill und obszön wie kein anderer Titel zuvor. Sicherlich ist das Spiel sexistisch, sicherlich ist das Spiel Geschmackssache, sicherlich werden viele Menschen mit absolutem Unverständnis auf die Ausführungen und Szenen im Laufe des Spiels reagieren. Doch genau das macht No More Heroes aus. Es ist kein Mainstream! No More Heroes ist abgefuckt, dreckig und unvollkommen – und doch irgendwie perfekt.
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