Testbericht: Mein Wortschatz-Coach

Schlechte Ausdrucksweise kann mitunter fatale Folgen haben. Wenn Ex-Ede Stoiber innerhalb von zehn Minuten in den Münchner Hauptbahnhof einsteigt, und dieses rhetorische Puzzle auch noch mit einem weiteren duzend „Ääähs“ anreichert, dann hätte er sich vielleicht vorher mit „Mein Wortschatz-Coach“ beschäftigen sollen. Ob’s was gebracht hätte und der Herr Ministerpräsident dabei auch noch Spaß gehabt hätte, dass erfahrt ihr in den folgenden Zeilen.

Kampf dem Kauderwelsch

Als der Philosoph Friedrich Nietzsche im 19. Jahrhundert sein Konzept eines Übermenschen in die Welt hinaustrug, ahnte er wohl kaum, dass es schon 150 Jahre später Realität werden würde. Der moderne Übermensch der Neuzeit heißt … Nintendo-Fan! Denn Nintendo-Fans sind einfach die besseren Menschen. Sie sind unheimlich schlau, dank Gehirnjogging, können hervorragend Englisch, sind Meister in der Mathematik, haben hervorragende Augen und selbst ihre Muskeln sind seit WiiSports gestählter denn je. Und dank Ubisofts Mein Wortschatz-Coach können sie all diese Vorzüge künftig auch noch in wohlklingende Worte fassen. Der gemeine Sony-Jünger kann dagegen gerademal singen, Xboxler können eigentlich … gar nichts.
Mit seinem digitalen Linguistiktrainer will Ubisoft nun also auch auf die Welle erfolgreicher Lern- und Übungssoftware aufspringen. Das Spiel, welches in Zusammenarbeit mit Sprachwissenschaftlern entstand, wirbt vollmundig damit, das persönliche Ausdrucksvermögen zu verbessern, was so manchem Chat-verseuchten Zocker nicht unbedingt schaden würde. Und da auf der Packung auch noch das zuckersüße Lächeln von Yvonne Catterfeld prangt, kann ja eigentlich nichts mehr schiefgehen … oder doch?

Lol Alder, der Spiel heißt die Spiel!!!111einself

In vielerlei Hinsicht orientieren sich die Jungs und Mädels von Ubisoft Montreal an den gängigen Standards von Kawashima & Co. Direkt nach dem Start des Programms begrüßt euch euer persönlicher Dozent Dr. Erasmus Eisenstein. Er erklärt die grundlegenden Ziele des Trainings und wie sie erreicht werden sollen. Danach wird ein Profil bestehend aus Geschlecht, Alter, etc. erstellt und in einer simplen Übung euer Ausdrucksvermögen ermittelt. Ausdrucksvermögen ist hier als Pendant zum geistigen Alter der Gehirnjoggingspiele zu sehen und repräsentiert in mehreren Stufen die Qualität eures Wortschatzes. Besonders anspruchsvoll ist das zunächst allerdings nicht, die erste Übung besteht darin in zehn vorgegebenen Worten jeweils einen fehlenden Buchstaben einzusetzen, indem ihr ihn per Pointer auf den Bildschirm malt. Da es sich dabei allerdings um Begriffe wie „Ver_ältnis“, „Überf_uss“ oder „Äuß_rung“ handelt, werdet ihr vermutlich beim Lesen eines durchschnittlichen Wii Insider-Reviews bereits mehr gefordert. Doch Dr. Eisenstein verspricht auch, dass sich der Schwierigkeitsgrad der Worte später automatisch an die persönliche Leistungskurve anpasst, also kein Grund vorzeitig das Handtuch zu werfen.
Sind die ersten Tests durchlaufen und euer Ausdrucksvermögen ermittelt, bietet das Hauptmenü Zugriff auf alle weiteren Stationen des Trainings. Außerdem könnt ihr euer Profil jederzeit bearbeiten, falls sich z.B. spontan das Geschlecht ändert, oder ihr wählt neben Erasmus Eisenstein einen aus den drei weiteren Trainern aus. Diese, in einem angenehm westlichen Comicstil gehaltenen Charaktere, begleiten euch während der Aufgaben und kommentieren den Leistungsstand. Spielerische Auswirkungen hat das allerdings nicht, abgesehen von Aussehen und Stimme ist die Wahl des Trainers egal.

Im Kern unterteilt sich das Programm in sechs Übungen, die in verschiedenen Schwierigkeitsstufen, sowie im Multiplayer gespielt werden können. Und natürlich müssen sie nacheinander teilweise erst freigespielt werden. Ebenfalls genretypisch wird empfohlen, täglich ein paar Einheiten zu üben, anhand dessen wird eine Grafik über den Stand eures Ausdrucksvermögens geführt. Alles soweit nichts besonderes, also werfen wir einen genaueren Blick auf die Übungen. Leider liegt genau hier die Schwäche des Spiels! Die verschiedenen Minispiele sind allesamt nur wenig anspruchsvoll und schöpfen aus einem Wortschatz, der dem eines durchschnittlich belesenen Menschen entsprechen dürfte. Auch Worte wie „Resonanz“ oder „Reflexion“ werden die meisten kennen. Zwar kommen mit zunehmender Spieldauer häufiger eingedeutschte Begriffe vor, doch nur selten sind diese wirklich schwer. Falls ihr einen Ausdruck aber mal nicht kennt, wird er am Ende des Spiels mit kurzen Lexikonauszügen erklärt – Satzbeispiele oder Redewendungen mit dem konkreten Fall fehlen allerdings. Generell ist das Spiel mehr eine Wörter-Minispielsammlung als ein Ausdruckstrainer, denn in jeder Übung werden immer nur einzelne Worte behandelt. Schöner wäre es gewesen, auch mal ein paar intelligente Sprichworte oder kluge Fachausdrücke mitsamt Kontext zu erlernen – doch Fehlanzeige. Stattdessen verlangen Spiele wie „Geteilte Meinung“, dass ihr einer vorgegebenen Definition lediglich das richtige Wort zuordnet. Bei zwei, meist grundverschiedenen Antwortmöglichkeiten nicht wirklich schwer. Bei „Buchstabensuppe“ gilt es dagegen aus einem vorhandenen Kauderwelsch ein richtiges Wort zu bilden. Lediglich „Mauerbrecher“ vermag über längere Zeit zu unterhalten. Bei dem Tetris-Klon fliegen Buchstabenblöcke vom Himmel und verschwinden natürlich nur dann, wenn man mit einer Reihe ein vorgegebenes Wort bildet. Dabei handelt es sich auch um das einzige wirkliche Spiel im klassischen Sinne, die restlichen Übungen haben eher Lernsoftwarecharme. Wenn auch Anfangs unterhaltsam geht dem Training schon sehr bald die Puste aus, zum einen weil mit nur sechs Spielen recht wenig geboten wird, zum anderen, weil der geringe Anspruch keinen wirklich spürbaren Lerneffekt erzeugt. Wer also nicht völlig blöde ist – und derjenige würde diesen Test vermutlich auch nicht lesen – der wird durch Ubisofts Mein Wortschatz-Coach wahrscheinlich auch nicht viel wortgewandter.

Ein massiver Fehler hat sich übrigens auch noch in das Spiel eingeschlichen. Es werden keine Umlaute erkannt! Statt ä, ö, ü schreibt ihr also lediglich a, o, u, beispielsweise Außerung, statt Äußerung und selbst Nietzsches Übermensch wäre auf Wii lediglich ein Ubermensch. Bei einem rein sprachorientierten Spiel doch ziemlich verwirrend.

Infrarotfüller

Eigentlich gab es in der Vergangenheit im Genre der Lernspiele selten formale oder technische Kritik, von der Schrifterkennung des ersten Kawashimas mal abgesehen. Leider hat sich Ubisoft mit seinem Wii-Wörterbuch in Sachen Steuerung aber nicht mit Ruhm bekleckert, und das, obwohl sie ohnehin recht minimalistisch ausfällt. Aber es geht schon in den Menüs los. Aus irgendeinem Grund hat man sich nämlich dazu entschlossen, die mittlerweile bewährte Zeigefunktion einfach über den Haufen zu werfen. Stattdessen wählt ihr aus einer horizontalen Reihe von Menüpunkten, je nachdem in welche Richtung die Wiimote gekippt wird, dorthin bewegt sich auch der Cursor. Dieses etwas ulkige Prinzip zieht sich durch weite Teile des Spiels. Bei „geteilte Meinung“ etwa müsst ihr erst durch einmal nach links und rechts kippen die beiden Antwortmöglichkeiten auf den Bildschirm bringen und wählt dann auf gleiche Weise die richtige aus. So richtig gewöhnt man sich an diese fummelige Lösung nicht, zumal es per Pointer einfach wesentlich unkomplizierter wäre.
Apropos Pointer – der kommt beispielsweise beim Schreiben zum Einsatz, leider fühlt sich aber auch das nicht optimal an. Zwar reagiert der Stift präzise und die Schrifterkennung funktioniert im Allgemeinen sehr gut, es fühlt sich aber einfach komisch an. Haltet zum Vergleich mal einen Stift wie eine Gabel und versucht mit der Spitze präzise zu schreiben – hierfür ist die Wiimote aufgrund ihrer Bauart einfach nicht ausgelegt, eher ein Fall für den DS.
Unterm Strich funktioniert die Steuerung technisch also gut, ist aber einfach unglücklich gelöst.

Präsen_ation

In optischer Hinsicht gibt es kaum Grund zu nörgeln, der Titel passt genau ins Genre. Das heißt, es gibt viele klare Linien, simple Hintergründe und kleine, stilisierte Animationen. Natürlich ist das weder innovativ noch ein echter Augenöffner, stört bei einem derartigen Spiel aber ebenso wenig. Recht hübsch und unerwartet detailreich sind dagegen die 3D Models eurer Trainer, die ihr hin und wieder zu Gesicht bekommt.

Akustisch präsentiert sich Mein Wortschatztrainer ebenso minimalistisch. Seichte Begleitmelodien dudeln unauffällig im Hintergrund, als Soundeffekte gibt’s das übliche Klicken und Bloppen der Buttons. Die deutsche Übersetzung fällt weder positiv noch negativ aus der Reihe, die Stimmen sind aber weitestgehend passend und erträglich.

Wörterschlacht

Wer hat den besseren Wortschatz? Wem diese Frage wie sonst nichts unter den Fingern brennt, der darf sich mit bis zu drei Freunden in lokale Multiplayerspielchen stürzen und eine Zeit lang mit den sechs Übungen seinen Spaß haben. Wie schon im Singleplayer krankt das Spiel auch hier an seiner viel zu einfachen und alltäglichen Wortwahl, bzw. den generell zu simplen Übungen, die sich stets nur auf einzelne Wörter anstelle ganzer Ausdrucksformen beziehen. Und auch hier ist das Minispiel „Mauerbrecher“ – also die Tetrisvariante – am spaßigsten und vermag durchaus für mehrere Stunden zu unterhalten. Allerdings tat dies das Original-Tetris auch schon.

Fazit

Mit Mein Wortschatz-Coach hat Ubisoft den Sprung auf die erfolgreiche Lernsoftwarewelle gewagt – und ist zumindest im Hinblick auf das angepriesene Ziel kolossal gescheitert. Denn durch die zu simple Struktur stellt sich kaum ein spürbarer Lerneffekt ein. Inwiefern das Spiel mit Sprachwissenschaftlern entstanden sein soll, ist mir ehrlich gesagt ein Rätsel, denn ein gewöhnliches Wörterbuch hätte als Grundlage auch gereicht. Leider behandelt der Titel zudem nicht die Ausdrucksfähigkeit an sich, sondern versucht lediglich den Wortschatz um einige Fach- oder Fremdwörter zu erweitern. Wer also regelmäßig spielt, kann hinterher sehr wahrscheinlich trotzdem noch keine sinnliche Prosa schreiben, es sei denn, er konnte es schon auch schon vorher.
In wieweit der Titel zumindest als Minispielsammlung taugt ist ebenfalls fraglich. Denn bis auf „Mauerbrecher“ sind die einzelnen Übungen eigentlich ziemlich belanglos – und ganz im Ernst, wer auf Minispiele steht, dem mangelt es auf Wii doch wirklich nicht an Alternativen.

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Packshot Mein Wortschatz-Coach

Mein Wortschatz-Coach

Release: 15.05.2008
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Entwickler:
Anzahl Spieler: 4
USK: