Testbericht: Ivy the Kiwi?
Nur selten gelingt es Spielen auf der Wii, die Regeln eines bekannten Genres konsequent auf die Steuerungsmöglichkeiten mit Remote und Nunchuk zu übertragen. Einen neuen und interessanten Ansatz für Jump’n’Runs wählen die Rising Star Studios mit „Ivy the Kiwi?“. Komplett per Pointer helft ihr einem frisch geschlüpften Küken auf dem Weg zu seiner Mutter.
Der Igel aus dem Ei
Wer die Spielverpackung von Ivy the Kiwi? (Das Fragezeichen ist übrigens kein Schreibfehler, sondern Teil des Titels – Über seine Bedeutung rätselt die Redaktion zur Stunde noch) in die Hände nimmt, dem fällt rechts neben dem Abbild der gleichnamigen Vogeldame auch ein großer, blauer Button ins Auge. Aufschrift: „Von den Machern von Sonic.“ Und tatsächlich zeichnet für das Spiel kein geringerer als Yūji Naka verantwortlich, kreativer Kopf hinter Hits wie Phantasy Star, Nights into Dreams, Samba de Amigo oder eben auch dem blauen Igel. 2006 machte sich der renomierte SEGA-Designer mit einem eigenen Studio selbstständig und zeigt uns 2010, wie unerwartet und frisch sich doch ein klassischer 2D-Plattformer spielen kann. Ivy the Kiwi? ist eine Art Mischung aus Lemmings und Kirby’s Magic Paintbrush. Während Ivy unaufhaltsam durch die Level läuft, liegt es an Euch, ihr mittels gezeichneter Efeuranken den Weg zu weisen.
Jump’n’Rund ohne laufen und springen
Die arme Ivy – kaum richtig aus ihrem Ei geschlüpft – stellt zu Beginn des Spiels also fest, dass sie nicht wie vorgesehen im behüteten Nest der Mutter ist. Was scheint da also naheliegender, als sich mit Volldampf auf den Weg zu machen. Nun ist Ivy aber alles andere als ein Actionheld und mehr als stur geradeaus laufen, hat sie einfach nicht drauf. Ein Glück, dass ihr da die gutmütigen Wii-Spieler mit der magischen Pointer-Hand unter die Flügel greifen. Per Knopfdruck setzt ihr irgendwo auf dem Bildschirm einen Anfangspunkt für eine Efeuranke. Ein weiterer Knopfdruck und sie wird festgepinnt. So zieht Ihr in Windeseile Brücken und Stege von beliebiger Länge oder Ausrichtung, über die Ivy hinweg spaziert. Liegt vor der Vogeldame also ein Abgrund mit Stacheln, auf den sie unaufhörlich zuläuft, müsst Ihr schnell eine Ranke darüber ziehen. Kommt das Vögelchen an einer Wand oder hohen Stufen nicht weiter, zieht Ihr eine schräge Rampe zum hinaufsteigen. Das Ganze muss anfangs noch nicht ganz so schnell, später jedoch sehr flott von der Hand gehen, denn das Kiwiküken läuft ohne anzuhalten. Stößt Ivy auf ein Hindernis, wird auf der Stelle kehrt gemacht und es geht wieder in die Gegenrichtung.
Das Besondere am Spiel ist jedoch die Art, wie die Ranken genutzt werden können. Zunächst reicht es beispielsweise schon, einen Anfangspunkt für eine Ranke zu setzen. Noch während das Ende per Pointer über den Bildschirm bewegt wird, kann Ivy bereits auf dem Efeu laufen. So könnt Ihr eine Ranke verlängern, heben oder senken, bevor ihr sie letztlich im Level befestigt und Ivy marschiert bereits darauf rum. Oder Ihr packt eine bereits befestigte Ranke in der Mitte, zieht sie per Pointer wie ein Gummiband nach unten, und schleudert Ivy auf diese Weise in luftigen Höhen – quasi ein Äquivalent zur nicht vorhandenen Sprungtaste. Später dienen die Pflanzenstränge auch dazu, feindliche Ratten aufzuhalten oder für Ivy selbst ein Hindernis zu setzen, damit sie die Richtung wechselt. Bis zu drei Ranken können gleichzeitig existieren, wird eine Vierte gezogen, verschwindet die Erste wieder. Mit zunehmendem Voranschreiten in den 100 Levels wird es überlebenswichtig, alle Stränge taktisch klug zu ziehen, denn der anfangs noch sehr leichte Schwierigkeitsgrad steigt rasch an und schon ein Feindkontakt bedeutet für Ivy das Ende. Darüber hinaus tickt zu jeder Zeit unerbittlich die Uhr und setzt jedem Level eine Deadline, in der er absolviert werden muss. Und wer sich trotz dessen noch immer unterfordert fühlt, kann in jeder Stage eine vorgegebene Anzahl an Federn einsammeln, um am Ende auch wirklich die höchstmögliche Punktzahl zu ergattern.
Die Ästhetik des Bilderbuchs
Die Suche nach Ivys Mutter erstreckt sich über 20 Kapitel, die in jeweils fünf Levels unterteilt sind. Jedes Kapitel präsentiert sich ein einem neuen, grafischen Thema – etwa Stadt, Wald oder Wiese. Davon betroffen sind allerdings nur die Hintergrundbilder, die dann auch wieder für fünf Level lang unverändert bleiben. Der Vordergrund besteht zu jederzeit aus braunen Steinblöck, welche die grundlegende Architektur formen. Auch über das gesamte Spiel hinweg dominieren Brauntöne, die entsättigten und leicht weichgezeichneten Landschaftsmotive lassen das Spiel wie mit Wasserfarbe gezeichnet erscheinen. Dieser minimalistische Stil tut nicht weh und bildet einen interessanten Kontrast zur Bombastgrafik anderer Spiele. Doch durch die Ähnlichkeit der Hintergrundbilder, die immer wiederkehrende Farbpalette und die Tatsache, dass nur alle paar Stages ein neuer optischer Ton angeschlagen wird, lässt auf Dauer auch etwas Monotonie einkehren. So frisch und anders Ivy auch aussieht, auf Dauer hätte etwas mehr Abwechslung wirklich gut getan.
Selbiges trifft übrigens auch als Fazit auf den gesamten Spielverlauf zu. So interessant und facettenreich das Rankenziehen zunächst auch ist, und so viele Möglichkeiten es mit der Zeit offenbart – irgendwann im Laufe der 100 Level fehlt es dem Titel einfach an Abwechslung. Auch die Musik plätschert meist nur vor sich hin, wobei die minimalistische Soundkulisse nicht stört. Doch alles in allem gilt: Individuelle Highlights oder markante Besonderheiten hätten gut getan. Ivy the Kiwi? spielt sich – vom Schwierigkeitsgrad mal abgesehen – im ersten Level so wie auch im Letzten.
Entschädigen kann dafür der nette Mehrspielermodus. Hier rennen bis zu vier Spieler mit ihrem eigenen Küken in Richtung Ziel, wobei die gezogenen Ranken nicht nur der eigenen Figur helfen, sondern auch die der Gegner behindern können. Eine kluge Mischung aus Vorankommen und Gegner ärgern führt daher zum Sieg. Schadenfreude inklusive.
Fazit
Ivy the Kiwi? basiert als Spiel auf einer guten Idee, der passiven Kontrolle der Spielfigur über die Ranken. Die damit gebotenen Möglichkeiten und der zunehmende offene Aufbau der Level lassen viel Raum für Experimente, der Schwierigkeitsgrad steigt zudem ordentlich an und fordert auch Profis. Nur blutige Anfänger dürften den Vogel – trotz der putzigen Aufmachen – früher oder später frustriert in die Ecke werfen. So schön und sauber sich der Spielablauf auch präsentiert, früher oder später stellt sich der fade Beigeschmack der Monotonie ein. Auch die zuckersüße Optik, die mit ihren skizzenhaften Zeichnungen an ein Kinderbuch erinnert, leidet mit der Zeit an mangelnder Abwechslung. Wer für den relativ günstigen Preis also einmal in ein neuartiges Jump’n’Run eintauchen möchte, kann dies ohne größere Bedenken tun. Das gewisse Etwas, welches das neueste Werk von Yūji Naka auch auf lange Sicht über die Masse erhebt, fehlt dann aber leider doch.
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