Testbericht: GoldenEye 007
Sein Name ist Bond – James Bond. Britischer Geheimagent, Frauenverführer und Garant für explosive Kinounterhaltung. Nachdem das nächste Leinwandabenteuer des Doppelnull-Agenten bereits seit geraumer Zeit auf sich warten lässt, hat Activision das Flehen der Fans erhört und einem der größten Klassiker des Shooter-Genres eine Neuauflage spendiert. Die Frage ist nur, wie viel GoldenEye steckt noch in GoldenEye?
Von England für England
Wenn man etwas ältere Spieler fragt, welches virtuelle Bond-Abenteuer denn das Beste sei, wird die Antwort meist gleich ausfallen. Denn obwohl mit Agent im Kreuzfeuer oder Alles oder Nichts noch einige wirklich gute Spiele folgten, war es doch GoldenEye 007, welches 1997 auf dem Nintendo 64 mächtig abräumte. In Deutschland leider indiziert, staunte doch zumindest der Rest der Welt über die beeindruckende Grafik, clevere KI, die nicht nur offensiv, sondern auch defensiv agierte, ausgefeilte Trefferzonen (z.B. im Bein getroffene Gegner humpelten), sowie einen sehr umfangreichen Vier-Spieler-Modus. Der indirekte Nachfolger, Perfect Dark, setzte in jeder Hinsicht sogar noch einen drauf. Über 40 Waffen, jede mit Sekundärfunktion und ein ausgesprochen frei konfigurierbarer Mehrspielerpart machten auch den zweiten Shooter des britischen Entwicklerstudios Rare zur Referenz.
Doch spätestens seit der Übernahme Rares durch Microsoft, erlosch mehr und mehr die Hoffnung, das englische Studio könnte seinen beliebten Bond-Shooter noch einmal auf eine Nintendo-Konsole bringen. Umso überraschender deshalb die Ankündigung Activisions, die im Frühjahr ein Wii-exklusives Remake von GoldenEye 007 in Aussicht stellten. Nun ist das Abenteuer erhältlich und gilt als Hoffnungsträger schießwütiger Wii-Spieler – insbesondere wegen des umfangreichen Multiplayers. Und eins sei gleich vorweg verraten: GoldenEye 007 gelingt tatsächlich das, woran The Conduit im vergangenen Jahr scheiterte.
Der Spion, den ich liebte
Regen prasselt, ein Gewitter donnert und hinter einer kleinen Brücke leuchtet der Suchscheinwerfer eines Wachturms die Umgebung ab. In einiger Entfernung unterhalten sich zwei Wachen mit russischem Akzent. Zwei Agenten des britischen Geheimdiensts nähern sich auf leisen Sohlen. Mit einem kurzen Handzeichen befiehlt der eine den Angriff, worauf hin die Russen von hinten gepackt und lautlos ausgeschaltet werden. Noch ein paar erklärende Worte zum Einsatz und dann schlüpft der Spieler in die Haut eines der beiden Männer. Es ist Bond, James Bond. Jedoch nicht so, wie wir ihn aus dem Staudammlevel von 1997 in Erinnerung haben. Es ist Daniel Craig, aktueller Kino-Bond und Protagonist im neuen GoldenEye. Auch der zweite Agent, Alec Trevelyan, sieht nicht mehr aus wie Sean Bean und trägt neuerdings eine Mütze. Und zuletzt hat sich auch die Startumgebung des ersten Levels in den letzten 13 Jahren ein Stückchen verändert, vor allem das Wetter ist deutlich schlechter geworden.
Bereits die ersten Schritte im 2010er GoldenEye machen deutlich, dass Acitivision kein 1:1-Remake abgeliefert hat. Genau genommen ist es sogar das exakte Gegenteil geworden, denn GoldenEye 007 ist ein komplett neues Spiel, dass sich nur noch in Grundzügen an Rares Erfolgstitel orientiert. Schon nach wenigen Metern besteigen Bond und Alec einen LKW und liefern sich eine wilde Verfolgungsjagd mit den russischen Truppen. Spätestens ab hier hat das Leveldesign mit dem Original nicht mehr viel gemein – bis zum Sprung von der Staudammmauer erlebt ihr einen völlig neuen Auftakt, mit neuen Missionszielen, Skriptsequenzen und massig Feinden. Diese ersten Minuten nutzt das Spiel, um euch an sein verändertes Gameplay heranzuführen. Bond kann nun hinter Objekten hervorschießen, um die Ecke gucken und Gegnern im Nahkampf das Gewehr um die Ohren hauen. Und natürlich ist auch die Steuerung eine völlig neue, zumal neben der Kombination Remote & Nunchuk auch der Classic-Controller (Pro) und sogar der Gamecube Controller unterstützt werden. Fast hat man das Gefühl, dass Activision aus Respekt vor dem Anspruch alteingesessener GoldenEye-Spieler versucht, diesen die größtmögliche Individualität zu gewähren. Habt Ihr die für euch optimale Steuerungsvariante herausgeknobelt, stürzt sich Bond erneut in den Kampf gegen das Satellitenwaffensystem GoldenEye.
Was ist nun wirklich neu am Remake? Kurz gesagt: Praktisch alles. Abgesehen vom beschriebenen Anfang bietet das neue Goldeneye eine neue Kampagne mit neuen Levels, die nur sehr wage an das Vorbild angelehnt sind. Story, Zwischensequenzen, sogar der Introsong wurde mit Pussycat Dolls-Sängerin Nicole Scherzinger neu aufgenommen. Bond trägt zudem einen kleinen PDA mit sich, mit dem sich etwa Fotos schießen lassen, was gelegentlich zum Erfüllen der Aufträge nötig ist. Wie schon im Original ändert sich die Anzahl der Haupt- und Nebenziele je nach gewähltem Schwierigkeitsgrad. Während die Hauptziele quasi zwangsläufig erfüllt werden, muss je nach Nebenaufgabe auch mal ein Umweg in Kauf genommen werden. Wirklich verlaufen kann man sich in den Levels allerdings nicht, dazu ist das Spiel zu geradlinig angelegt. Auch gehen die Aufträge nur selten über „Sammle dies, fotografiere das oder sprenge jenes“ hinaus. Immerhin führen gelegentlich zwei unterschiedliche Wege zum Ziel, die entweder brachiale Waffengewalt oder Heimlichkeit verlangen. Das tut der Abwechslung auch gut, etwas mehr Kreativität hätte dem Design aber trotzdem nicht geschadet, denn in puncto Leveldesign sind die letzten 13 Jahre nicht spurlos am Genre vorbei gegangen. So spielt sich GoldenEye 007 im Singleplayer-Modus weitgehend linear – es wird eben geballert, was das Zeug hält. Vom AK47 über das Dragunov-Gewehr bis hin zu Bonds persönlicher Walther P99 (als Ersatz für die PP7 des Originals) sind natürlich auch alle bekannten Waffen wieder mit von der Partie. Deren Durchschlagskraft wird übrigens etwas weniger drastisch dargestellt, anders als 1997 gibt’s heuer keine Schusswunden und Blutflecken mehr – Rares Vorlage wurde seinerzeit ja genau deswegen, und wegen den als unverschämt realistischen geltenden Todesanimationen indiziert.
Unterm Strich präsentiert sich GoldenEye 007 im Solomodus also als schnörkelloser Ego-Shooter ohne gravierende Macken, aber auch ohne echte Highlights. Zum mehrmaligen Durchspielen laden allenfalls die zusätzlichen Missionsziele auf höheren Schwierigkeitsgraden ein. Als großes Manko erweist sich die Tatsache, dass das Freispielen von Cheats, welches in früheren Rare-Titeln für enorme Langzeitmotivation gesorgt hat, ersatzlos gestrichen wurde. Zwar gibt es auch in der Neuauflage lustige Optionen wie den Big-Head-Modus, diese werden allerdings über eine Codeeingabe aktiviert, und nicht automatisch bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen freigeschaltet. Einige dieser Codes geistern auch schon durchs Internet, die Freispielvariante wäre mir aber deutlich lieber gewesen. Online funktionieren all diese Schummeleien natürlich nicht.
Der Herr der Knöpfe
Wie schon erwähnt, ist die Auswahl der Steuerungsoptionen gigantisch ausgefallen. Praktische alle Controller-Kombinationen werden unterstützt, unterschiedliche Tastensetups stehen zur Verfügung. Präzision des Pointers, Dreh und Schwenkbereiche, Schüttelintensität, Geschwindigkeit der Kameradrehung, die Vielzahl der Einstellmöglichkeiten ist beeindruckend. Auch wenn es zahlreiche Presets gibt, kann die Optionsvielfalt anfangs überfordern. Bis die persönliche Lieblingssteuerung konfiguriert ist, zieht locker eine halbe Stunde voller Konfiguration und Tests ins Land. Für erfahrene Konsolenspieler bietet die Steuerung mit dem neuen Classic-Controller-Pro, welcher passend in Gold der limitierten Spielfassung auch beiliegt, sicher das bequemste Gameplay – mehr Präzision lässt sich aber mit Remote und Nunchuk erreichen. Eine Zielhilfe unterstützt auf Wunsch das Anvisieren der Gegner, online funktioniert das aber natürlich nicht. Selbst wer also nicht über vier volle Remote/Nunchuk-Sets verfügt, aber Lust auf eine lokale Ballerrunde hat, kann in beliebiger Kombination auch Gamecube- und Classic Controller anstöpseln. Vorbildlich!
Alles gold was glänzt?
Goldeneye 007 sah seinerzeit auf dem Nintendo 64 bombig aus. Klares, ruckelfreies Bild, gefilterte Texturen und eine Vielzahl an Animationen setzten Maßstäbe im Shooter-Genre. Auch die Wii-Version weiß zu gefallen und brilliert dank detaillierter Charaktermodelle. Leider ist das Leveldesign dagegen ein wenig trist geraten, oft dominieren metallische Grautöne an den Wänden. Dafür sehen Explosionen und Lichteffekte umso schicker aus. Die gelegentlichen Zwischen-, bzw. Script-Sequenzen aus der Egoperspektive sind grandios inszeniert sowie animiert und wecken Erinnerungen an die Call of Duty-Spiele vom gleichen Publisher.
Auditiv gibt sich Goldeneye 007 keine Blöße. Die Musik stammt vom Bond-Filmkomponisten David Arnold, sowohl im Englischen, als auch Deutschen wurden die Originalsprecher verpflichtet. Die Soundkulisse kracht und donnert und die abwechslungsreichen Melodien passen sich dynamisch dem Geschehen an. Warum der Titelsong nicht von Tina Turner interpretiert wurde, ist zwar ein Rätsel, das Cover bemüht sich aber nah am Original zu bleiben.
Randale im Internet
Womit sich Activision zweifellos schmücken darf, ist die derzeitige Online-Mehrspieler-Krone. Zumindest im Bereich der Actionspiele. Was Goldeneye an Umfang bietet ist schon fast … ja, schon fast mit einem Shooter der Konkurrenzkonsolen gleichzusetzen. Zunächst gibt es den traditionellen Splitscreen-Modus, bis zu vier Spieler können sich in genauso vielen Disziplinen austoben. Zahlreiche Modifikationen, wie Anzahl der Leben, Teambeschuss, Waffenwahl, Waffenstärke bis hin zu Gummigranaten und Singularität (Spieler explodieren bei Berührung) bieten Raum für Individualisierung. Online dürfen sich sogar bis zu acht Spieler auf alten und neuen Karten (darunter Kultmaps wie Facility) in insgesamt neun Modi um die Vorherrschaft prügeln. Neben Klassikern wie Deathmatch oder der Golden Gun, steht mit Goldeneye beispielsweise eine Variation des aus Battlefield bekannten Eroberungsmodus bereit. Weitere Modi werden zudem auf höheren Erfahrungsrängen automatisch freigeschaltet. Moment, Erfahrung? Ränge? Da wird doch nicht … Doch! Goldeneye 007 vergibt für Abschüsse und gewonnene Matches Erfahrungspunkte. Mit denen steigt ihr dauerhaft im Rang auf, wodurch neben weiteren Modi auch neue Charaktere und bessere Waffen freigeschaltet werden. Ein System, dass auf den übrigen Plattformen schon längst Standard ist. Und zur Krönung all dessen, funktioniert der Mehrspielermodus über ein Matchmaking-System, dass auf die lästigen Freundescodes verzichtet! Als einzigen Wehrmutstropfen muss auf Sprachkommunikation via WiiSpeak verzichtet werden, allerdings handelte es sich bei Nintendos Mikrofon ohnehin eher um einen Rohrkrepierer, denn eine ernsthafte Voicechat-Lösung.
Da die Partien auch noch größtenteils lagfrei verliefen, muss sich spätestens hiermit der bisherigen Online-Platzhirsch The Conduit geschlagen geben. Denn Fakt ist: Goldeneye bietet den bis dato umfangreichsten und spaßigsten Online-Multiplayer aller Actionspiele auf Wii! Punkt.
Fazit
Zugegeben, als Fan des Originals hat mich die Kampagne ein wenig enttäuscht. Sie ist nicht grundsätzlich schlecht gemacht, doch ich gehöre zu den Spielern, die sich ein 1:1 Remake mit bestenfalls dezenten Verbesserungen gewünscht hätten. Also gleiches Leveldesign, gleiche Musik, gleiche Charaktere, etc. Nur eben in besserer Technik. Den Nostalgiebonus kann Goldeneye 007 also nicht wirklich für sich verbuchen, dazu ist es schlichtweg zu sehr ein neues Spiel. Die Steuerungsmöglichkeiten sind dafür vielfältig, wenn auch anfangs verwirrend. Was für die meisten Spieler jedoch am wichtigsten sein dürfte, ist der Mehrspielerpart. Und der funktioniert tatsächlich schnörkellos. Ob am heimischen Fernseher oder online – allein das Rangsystem sorgt für anhaltende Motivation. Unglaublich, dass es sage und schreibe vier Jahre gedauert hat, bis ein Wii-Spiel in puncto Internetkonnektivität mit der Konkurrenz einigermaßen mithalten kann.
Fest steht daher, Goldeneye 007 ist auf Wii der neue König der Mehrspieler-Shooter, solo ist es ebenfalls ordentlich, behauptet sich aber vor allem deshalb, weil es praktisch keine Konkurrenz gibt. Wenn man die Metroid-Titel mal nicht als Shooter wertet, dann handelt es sich hierbei trotzdem um den – offline wie online – bis dato besten Ego-Shooter auf dieser Konsole.
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