Testbericht: Dewy’s Adventure
Ein Spiel, so zuckersüß, dass man Zahnschmerzen bekommt: „Dewy’s Adventure“ verbindet einen schrägen Plot mit ähnlich abwegigem Gameplay. Kann das funktionieren? Theoretisch schon, nur: für wen?
Fabelplot
Es war einmal der Baum der Tausend Farben … einem Märchen nicht unähnlich erzählt das Intro die Hintergrundgeschichte von Dewy’s Adventure. Damit das auch der Letzte versteht, liest ein junges Mädchen einem noch jüngeren Jungen die Geschichte aus einem Buch vor: wie der Baum von der Finsternis bedroht wurde, wie er mit letzter Kraft den magischen Wassertropfen Dewy beschwörte, und wie Dewy dann den Baum rettete.
Die Geschichte wiederholt sich und hier steigt man als Dewy ins Spiel ein: erneut wird der Baum von der Finsternis angegriffen und wieder weiß der Baum sich nicht anders zu helfen, als Dewy hervorzubringen.
Niedlich und verrückt – so sind sowohl Plot als auch Optik schnell zusammengefasst. Märchenerzählung und Knuddellook lassen auf ein Spiel für die ganz, ganz Jungen schließen. Auf eine deutsche Synchronisation wurde verzichtet, statt dessen wurden deutsche Untertitel bei englischer Sprache verwendet – für die ganz Kleinen sicherlich eine erste Hürde und leider nicht die letzte, wie wir bald sehen werden.
Landschaftskontrolle
Im eigentlichen Spiel steuert man Dewy nicht direkt, sondern neigt das Gelände mittels quergehaltener Wii-Remote, was den Wassertropfen dazu veranlasst, durch die Landschaft zu gleiten (Super Monkey Ball und Kororinpa lassen grüßen). Bei allem anderen wird jedoch Dewy selber gesteuert, ob beim Springen, der unvermeidlichen Auf-den-Boden-donnern-Attacke oder seinen diversen Spezialfähigkeiten. Im Laufe des Spiels lernt Dewy unterschiedliche Formen anzunehmen; neben seiner normalen Wasserform kann er sich in Eis oder Dampf verwandeln und so alle Aggregatzustände durchlaufen, was unterschiedliche Effekte auf seine Umgebung hat. Denn eigentlich verändert man nicht Dewy, sondern gleich die ganze Landschaft: man macht es so kalt, dass Dewy gefriert und eine Rutschattacke ausführen kann, oder so heiß, dass er zur Wolke wird und Blitze verschießen kann.
Desweiteren lernt er, Windstöße und Erdbeben hervorzurufen. Beides, Formen und Spezialattacken, dienen sowohl der Bekämpfung der im Level verteilten Gegner als auch dem Lösen von (meist trivialen) Rätseln. Simples Beispiel: Wie kommt man über den See? Man lässt die Welt gefrieren und rutscht als Eis-Dewy drüber. Ab und zu wird es ein wenig vertrackter, ja sogar so vertrackt, dass man nur mit wiederholtem Ausprobieren weiterkommt, denn leider sind die Rätsel nicht immer völlig logisch.
Die Steuerung ist unerbittlich und alles andere als kindgerecht. Nicht die zahlreichen Gegner sind das Problem, sondern Stürze ins Leere. An manchen Stellen muss man den flutschigen Tropfen ohne viel Bodenhaftung relativ präzise durch die 3D-Landschaft rutschen und springen lassen, in der die Kamera nicht verstellt werden kann und bereits leichter Kontrollverlust in Sprunggenauigkeit oder Landung den Sturz ins Nichts bedeutet.
Doch Übung zahlt sich aus, irgendwann beherrscht man die Steuerung weitestgehend, um allzu häufige Abstürze zu vermeiden. Ob Kinder jedoch so viel Geduld und Feingefühl an den Tag legen (wollen), ist fraglich.
Auch wenn man sich, Engelsgeduld vorausgesetzt, früher oder später an die Steuerung gewöhnt hat und Dewy weitestgehend souverän durch die Level gleiten und hüpfen lässt, bleibt ein letzter Rest Unbehagen. Nicht immer passiert das, was man gerne passieren lassen würde, und es hackt nicht am eigenen Unvermögen, sondern an der teils schwammigen Bewegungsumsetzung. Je mehr Präzision erforderlich ist (was oft genug vorkommt), desto mehr offenbart die Steuerung ihre Unzulänglichkeiten. Weniger wäre hier mehr gewesen: da die Bewegungssensoren keine pixelgenaue Steuerung zulassen können, wäre es sicher von Vorteil gewesen, auf Passagen zu verzichten, bei denen eine hohe Präzision vorausgesetzt wird.
Mission Briefing
Das Ziel eines jeden Levels ist immer gleich: bringe Dewy von Punkt A nach Punkt B und sammle unterwegs möglichst viele seiner Kumpels ein, die von den Gegnern gefangen wurden. Am Ende erhält man eine Bewertung basierend auf der benötigten Zeit und der Anzahl an befreiten Tropfen.
Wer in einem Level versagt, ob aufgrund von Schusseligkeit oder dank der brutalen Bewegungskontrolle, darf zur „Belohnung“ diesen ganz von vorne beginnen – es gibt keine Checkpoints. Vielleicht wollten die Entwickler hiermit sicherstellen, dass man ausreichend Zeit mit der grausamen Steuerung verbringt, um diese auch wirklich zu erlernen, doch zeitgemäß ist das nicht mehr. Hier legen Zocker jeden Alters früher oder später genervt die Remote zu Boden.
Gelegentliche Boss-Fights lockern das Spielerlebnis auf und sind durchaus fordernd. Stupide den Gegner zu attackieren führt nicht zum Ziel, vielmehr muss seine Schwachstelle erkannt und ausgenutzt werden. Für unerfahrene Videospieler kann hier leicht Frust aufkommen und erneut stehen Zuckergussgrafik und Gameplay in diametralem Gegensatz. Ein Vergleich zu Legend of Zelda drängt sich auf. Zwar sind dort die Boss-Kämpfe noch einen Tacken ausgeklügelter, doch Dewy’s Adventure spielt hier wenn schon nicht in derselben Liga, dann doch wenigstens im gleichen Sport. Aber Zelda kommt nicht im Kleinkindstil daher – Dewy’s Adventure lässt jedoch erst viel zu spät erahnen, wie viel Spieltiefe tatsächlich in ihm steckt.
… mit Zucker obendrauf.
Der Grafikstil von Dewy’s Adventure ist mit Sicherheit nicht allen zugänglich, jedoch müssen selbst hartgesottene Blutrauschfanatiker zugeben, dass die Optik nicht nur aus einem (Zucker-) Guss und insgesamt solide gemacht ist, sondern auch sehr abwechslungsreich daher kommt: Wälder, Gebirge, Dschungel, … jeder Level ist anders und trotzdem ist der Stil in sich geschlossen. Die verwendeten Farben sind zwar häufig knallig, aber nie eintönig. Zudem werden sowohl 16:9 als auch 480p unterstützt. Gelegentlich sackt die Framerate leicht ein, doch das bleibt zum Glück die Ausnahme.
Während die Grafik zwar anstrengend aber immerhin gut gemacht ist, fällt beim Sound leider das „gut gemacht“ weg, allzu übertrieben niedlich dröhnen die Geräusche. Fast mehr noch als die Optik richtet sich der Sound an die Videospieler im Kleinkindalter.
Bastelspaß
Jenseits des Solo-Modus gibt es auch Action für bis zu vier Wassertropfen gleichzeitig. Im Split-Screen sammeln die Spieler Sterne und behindern sich gegenseitig in ihrem Fortkommen, während sie zudem von CPU-Gegnern attackiert werden. Obwohl simpel gehalten, ist der Multiplayer-Modus durchaus ein Vergnügen.
Damit das nicht so schnell langweilig wird, können eigene Level erstellt werden. Der Level-Editor leistet hierbei gute Dienste, ist schnell erlernt und überraschend flexibel. Ewig fesseln wird der Multiplayer jedoch trotzdem nicht. Mehr als ein paar Matches am Stück werden sich die Wenigsten gönnen.
Auch das sonstige Drumherum weiß durchaus zu überzeugen. Snapshots können gemacht und betrachtet werden, Details über die Spielwelt eingesehen und selbst gebaute Level via Wi-Fi an Freunde verschickt werden. So viele Extras machen deutlich, dass die Entwickler keinen Schnellschuss zwecks Finanzabschöpfung versucht haben, sondern das Bestmögliche aus dem Spiel herausholen wollten. Nur leider ist ihnen auf dem Weg dorthin die Zielgruppe abhanden gekommen.
Fazit
Dewy’s Adventure ist ein origineller Titel, keine Frage – und alleine deswegen schon eine Empfehlung. Aber für wen? Wie erwähnt dürften die ganz Jungen schnell gefrustet sein, während die Älteren sich durch die Niedlichoptik abgestoßen fühlen werden. Doch wer sich nicht schämt, ein solches „Kinderspiel“ ins Regal zu packen, wird mit durchaus solidem Gameplay belohnt.
Wirklich begeistern kann es jedoch nicht. Hat man alle Hürden (Karies-Optik und knüppelharte Steuerung) genommen, bietet das Spiel zwar Vergnügen, aber am Ende bleibt es als „nett“ im Gedächtnis, mehr nicht. Der Multiplayer-Modus hingegen ist eine äußerst positive Überraschung – bei derartigen Spielen ist dies meistens nur ein draufgeklatschter Bonus (wenn es ihn überhaupt gibt), aber bei Dewy’s Adventure macht er tatsächlich Spaß.
Alles in allem ist Dewy’s Adventure durchaus eine Bereicherung für das Spielangebot der Wii. Denn so viel ist sicher: ein zweites Spiel wie dieses findet man so schnell nicht wieder. Ein Meilenstein der Videospielgeschichte ist es jedoch nicht.
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