Testbericht: Alvin und die Chipmunks
Ich hätte es nicht für möglich gehalten, dass ein Videospiel derart heftige emotionale Reaktionen in mir auslösen könnte. Doch schon nach kurzer Zeit rührte mich Alvin und die Chipmunks – Der Kinofilm (Das Videospiel) zu Tränen. Als Trickserie waren Alvin und die Chipmunks nicht gänzlich ohne Reiz. Und das ist auch schon der größte Unterschied zum Videospiel. Somit sollte klar sein, dass es sich nicht um Tränen der Freude gehandelt hat. Wer mutig ist, begleitet mich nun auf eine Reise in die untersten Sphären der Videospielkultur – für geistige Unversehrtheit wird keine Haftung übernommen.
Watch out, ‚cause here we come
Lädt man den Datenträger, begeistert das Wii-Menü mit Chipmunks auf Exstacy: das Bild der drei Musiker, welches man schon von der Hülle kennt, wurde (ohne Titelzug) auch als Menü-Icon verwendet, und wird in schnellem Rhythmus an dieses heran- und wieder herausgezoomt. Eine hektische Angelegenheit – da mag man das Teil nicht eingelegt lassen, während man andere Dinge mit der Wii macht.
Vor jedes Spiel haben die Konsolengötter die beteiligten Firmen gestellt. So weit, so üblich. Nicht üblich ist, dass man diese nicht wegdrücken kann, wenn sie schon nicht in angemessener Geschwindigkeit abgehandelt werden. So wird man gezwungen zu warten, bis endlich alle Konzerne gebührend abgefeiert wurden: Nintendo, Dolby Pro Logic II, 20th Century Fox, der Copyright-Hinweis von Fox, Brash Entertainment und Sensory Sweep Studios. Bis auf das letztgenannte dauert jede Einblendung vier oder fünf Sekunden.
Nach einer gefühlten Ewigkeit kann man sich ins „Vergnügen“ stürzen. Einen Vorspann gibt es nicht – wozu auch, die Leute können ja den Film sehen. Oder wie? Dafür gibt man sich originell: nicht irgendein Knopf, nicht der A-Knopf, nein: die „1″ soll gedrückt werden.
Zur Wahl stehen Story-Modus, Song-Modus (im Handbuch interessanter Weise „Schnelles Spiel“ genannt), Video-Modus, Multiplayer und Optionen.
Ein Tutorial gibt es auch, aber das versteckt sich in den Optionen. Hier wartet eine Überraschung: der Tutor ist niemand geringeres als Jason Lee (was eigentlich nahe liegend ist, schließlich spielt Lee im Kinofilm mit, aber das muss man erstmal wissen). Als die gesamte Tragweite dieses Umstands sich durch meine Gehirnrinde gegraben hatte, war es Zeit für den ersten Heulkrampf. Allerdings erst, nachdem ich das Tutorial gemeistert hatte: Scheitern folgte auf Scheitern, und Songabbruch auf Songabbruch. Ist das Spiel wirklich so unerbittlich, so zufällig, so sinnlos? In fünf Sätzen oder weniger: Ja. Allerdings ist der Schwierigkeitsgrad des Tutorials um einiges höher als im normalen Spiel, falls dieses auf „leicht“ gestellt wird. Macht es Sinn, den Spieler beim Erklären der Steuerung auf Höchstleistung zu testen? Jedenfalls beweist es ziemlichen Humor, dass das Tutorial nicht vorzeitig abgebrochen werden kann.
Und so wird „gespielt“: in jeder Ecke befindet sich ein rundes Zielgebiet mit einem Stern in der Mitte. Aus dem Bildschirmzentrum fliegen nun in offensichtlich zufälliger Reihenfolge Sterne in die Richtung der Ziele. Zu jedem Zielgebiet gehört eine Aktion, die durchgeführt werden muss, wenn der Stern möglichst genau über dem Ziel ist: links unten muss das Nunchuk geschüttelt werden, rechts unten die Remote, links oben muss zum Nunchukschüttler der Z-Knopf gedrückt werden, rechts oben zum Remoterappler der B-Knopf.
Zum Vergleich hier der Text aus der Anleitung: „Stürze dich mit Alvin und den Chipmunks in ein rasantes Musikspektakel. Zeige mit der Wii-Fernbedieung und dem Nunchuk auf die korrekten Stern-Ziele auf dem Bildschirm.“
Zeigen? Öh, nein, wie einen Absatz später zugegeben wird, da hiervon nicht mehr die Rede ist:
„Halte den B-Knopf gedrückt und schüttle die Wii-Fernbedienung vertikal, als würdest du trommeln. Lasse den B-Knopf los und schüttle die Wii-Fernbedienung vertikal, als würdest du trommeln. Halte den Z-Knopf gedrückt und schüttle das Nunchuk vertikal, als würdest du trommeln. Lasse den Z-Knopf los und schüttle das Nunchuk vertikal, als würdest du trommeln.“ Damit sollten alle Steuerungsfragen beseitigt sein …
Im Tutorial wird ohne Chipmunksgedudel gespielt, die Sterne fliegen also völlig zufällig und ohne Anbindung an eine Melodie durch die Gegend. Das mag man anfangs noch für eigenartig halten, wer aber den normalen Spielablauf kennt, weiß, dass hier bereits anschaulich die Marschrichtung vorgegeben ist.
Ein bereits hier schon offensichtliches Problem: es ist sehr schwierig, nur ein einzelnes Mal Remote oder Nunchuk zu aktivieren; sehr häufig registriert das Spiel gleich zwei Rüttler, was den Tod jeder Kombo bedeutet. Mit anderen Worten: die Steuerung ist schwammig.
Alvin, Simon, Theodore
Im Story Modus darf man zunächst einen Namen fürs Profil auswählen. Erneutes Ärgernis: durch die Buchstaben kann man nicht scrollen, sondern für jedes Feld muss der Analogstick erneut nach unten bewegt werden. Ebenso verhält es sich mit allen anderen Auswahlmenüs.
Erneut gilt: keine Zwischensequenzen. Die Story des Story Modus darf man sich also selber ausdenken … doch halt, ist die erste Rubrik („Traumszene“) gemeistert, gibt es zur Belohnung vor der nächsten Rubrik („College-Party“) etwas Story für den Story-Modus. Allerdings wird nur eine Reihe Bilder gezeigt, die mit englischen Dialogen und deutschen Untertiteln angereichert sind. Nicht gerade eine beeindruckende Vorstellung, passt aber zum uninspirierten Plot: die Chipmunks wollen am „Rockanthonapalooza“ teilnehmen, dem „größten, übelsten, heißesten Konzert aller Zeiten“ (O-Ton Handbuch), und dafür spielen sie sich von unten hoch. Damit man nicht zu aufgeregt ist, wird nie das Publikum gezeigt.
We bring you action and satisfaction
Das Geschehen auf der Bühne zeigt sich jedenfalls völlig unbeeindruckt vom (Un-) Vermögen des Spielenden. Triff die Sterne oder nicht, den Chipmunks ist’s gleich. Gleiches gilt für die Noten: mal passen sie zum Song und das Timing kommt hin, mal weiß man nicht genau, wozu die Töne gehören sollen (Schlagzeug, Gitarre, Gesang?), und mal ist gar das Timing falsch: trifft man die Töne, wie es im Song zu hören ist, ist dies nur ein halber Treffer. Aber letztgenanntes ist zum Glück die Ausnahme.
Die Chipmunks selber hauen in die Saiten oder auf die Trommel, als wenn es eigentlich egal wäre. Die präsentierte Action hat jedenfalls nichts mit dem Song zu tun.
Der eigentliche Spielablauf ist von anderen Spielen, allen voran Guitar Hero, schon hinlänglich bekannt: halte des Publikum bei Laune, um nicht von der Bühne gejagt zu werden (hier vertreten durch das „Rockometer“); mehrere korrekte Treffer hintereinander steigern den Bonusmultiplikator, ein einzelner Fehler setzt den Multiplikator wieder zurück.
Positiv aufgefallen ist, dass die Ergebnisse des Story-Modus auch in den Song-Modus übertragen werden; man muss die Lieder also nicht zweimal spielen, um überhaupt ein Ergebnis eintragen zu können. Oder, kurz und knapp: man muss die Songs nicht zweimal spielen. Puh.
Der Video-Modus ist ein schlechter Witz. Hier können die Lieder angehört und die Chipmunks beim zufälligen Herumspringen auf der Bühne beobachtet werden. Außer dem Titel der Songs erfährt man nichts zu den Liedern; von wem ein Song ist, weiß man entweder schon vorher, oder erfährt es nicht.
Multiplayer bietet die zu erwartende Kost: zwei Leute dürfen gleichzeitig schütteln. Am Ende hat eine Person mehr Punkte als die andere – eine Interaktion zwischen den Spielenden findet nicht statt.
Fazit
Es hätte so nett werden können: ein Rhythmus-Spiel mit fiepsigen Nagern auf der Bühne. Das Endprodukt ist aber eine Art Guitar Hero ohne Gitarre und ohne Helden. Und ohne viel Rhythmus. Das ist wie Mario ohne Schnauzbart, wie Jump’n’Run ohne Rennen und Hüpfen, wie Xbox 360 ohne „Red Ring of Death“.
Ist das Spiel wenigstens für Fans der Chipmunks zu empfehlen? Nicht wirklich, nein. Wer die Chipmunks und ihre Musik mag, hat zwar vielleicht ein wenig Spaß mit dem Spiel, doch auch dieser wird sich in Grenzen halten. Nur wer seine komplette Wohnung im Chipmunks-Style ausgestattet hat, darf über einen Kauf nachdenken. Wem es jedoch nur um die Chipmunksmucke geht, greife zum Filmsoundtrack.
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