Zwei Jahre Wii

Es ist wie mit dem Igel und dem Hasen im Grimm’schen Märchen. Der Hase ist haushoch überlegen, der Igel dagegen kann nur mit einem Trick gewinnen – in dem er sich von der klassischen Vorgehensweise abwendet. Auch Nintendo ging diesen Weg, als mit dem Konzept der Wii eine völlig neue Art des Videospielens vorgestellt wurde.

Eine Art, die dem ehemaligen Marktführer wieder einen Platz an der Sonne sichern sollte. Und tatsächlich. Als am Morgen des 8. Dezember 2006 die europäischen Geschäfte öffneten, stürmten die Fans in nie gekannter Weise herbei. Hat Nintendo sein Ziel erreicht? Wurde die Revolution ihrem Namen gerecht? Selbst jetzt nach zwei Jahren fällt die Antwort immer noch nicht leicht.

Wiiva la Revolution

Etwas eigen war man in Kyoto schon immer und als traditionsreichster Videospielentwickler ging Nintendo stets seine eigenen Wege. Das hat im Laufe der Firmengeschichte oft gefruchtet, genauso oft aber auch für Schwierigkeiten gesorgt. Nach dem legendären Erfolg des Nintendo Entertainment Systems und der ebenfalls nahezu alleinigen Marktherrschaft des Super Nintendos war es erstmals das Nintendo 64, welches das hohe Ross der Japaner ins Wanken brachte. Entgegen dem Trend der Entwickler entschied sich die damalige Firmenleitung für die klassischen Spielmodule und gegen die damals neue CD – eine Entscheidung mit nachhaltigen Folgen. Denn die Branche entstieg ihren Kinderschuhen, Videospiele machten einen großen Satz in Richtung Hollywood. Und während Sonys Playstation mit gigantischer Speicherkapazität, Sprachausgabe und den damals unheimlich beliebten Rendersequenzen Marktanteile eroberte, kämpfte das N64 immer wieder mit hausgemachten Problemen, etwa dem eng bemessenen Platz auf den Modulen.
Dennoch – der schwarze Kasten gilt noch heute als der Ursprung des modernen 3D-Gameplay in Videospielen. Viele treue Entwickler sattelten zunächst auf das Nintendo64 um, viele exzellente Klassiker sind den Fans noch heute in Erinnerung. Doch einen Erfolg wie bei den Vorgängern konnte BigN nicht mehr erzielen und bereits mit der Jahrtausendwende und der Ankündigung der Playstation2 stand fest: Nintendo hatte diese Runde im Konsolenkampf verloren.

Noch bevor Nintendos neue Führung um den frisch ernannten Satoru Iwata 2002 mit dem Gamecube zum Gegenschlag ausholen konnte, betrat Microsoft mit seiner Xbox das Feld. Als nun Dritter im Bunde wurde erstmals Onlinegaming auf Konsolen salonfähig. Der Gamecube musste sich bei seiner Einführung der seit zwei Jahren etablierten Playstation, sowie der technisch stärkeren Xbox stellen. Erneut stand man mit dem Rücken zur Wand, Entscheidungen wie der Verzicht auf eine DVD-Funktion wirkten sich damals zudem noch schwer aus. Und es dauerte auch nicht lange bis zum nächsten schweren Schlag. Microsoft erwarb Mitte 2002 51% der freien Anteile an Rareware – die Firma konnte nicht mehr exklusiv für Nintendo entwickeln, BigN verkaufte gezwungenermaßen seine Anteile und verlor den wichtigsten Unterstützer.
Doch selbst in diesen düsteren Zeiten hielten die Japaner zu ihrer Konsole, der Gamecube erhielt ebenfalls exzellente Software aus erster Hand, die Dritthersteller vergnügten sich jedoch mittlerweile woanders – der finanzielle Erfolg blieb aus. 2005 leitete Microsoft mit der Xbox360 die nächste Generation ein, Sony winkte mit der Playstation3 und auch Nintendo hatte etwas Neues im Feuer…

Um nicht erneut den Technologiekrieg aufgrund der schwierigen Ausgangslage zu verlieren, wurde ein neues Konzept entwickelt. Nicht die Grafik wurde zur Revolution, sondern die Art zu spielen. Nintendos neue Heimkonsole sollte ein Hingucker werden, etwas, das man noch nie gesehen hatte. Als der Controller Ende 2005 vorgestellt wurde, war nach kurzer Skepsis schnell klar, was sich hier für Möglichkeiten offen taten. Der Hype um die Wii wuchs rasend schnell an, die an sich schwache Grafikleistung geriet in den Hintergrund – zumal Titel wie Red Steel oder Twilight Princess versprachen, erst der Anfang des Möglichen zu sein. Weitere Features wurden vorgestellt, Wiiconnect24 oder die Virtual Console lockten auch alteingesessene Zocker wieder zu Nintendo zurück, selbst grafikverwöhnte PC-Spieler horchten auf. Die Konsole wurde im Vorfeld mit Auszeichnungen überschüttet und zum Europastart im Dezember hatte Nintendo noch fast nirgends Werbung schalten müssen – Wii kam allein durch Mundpropaganda ins Gespräch. Das Line-Up zum Release war mit 15 Titeln gigantisch, alle wichtigen Hersteller kündigten ihre Unterstützung an. Die Zeichen deuteten unmissverständlich: Nintendo ist zurück.

Die Macht der Masse

Zwei Jahre ist das Ganze nun her und was kaum einer für möglich gehalten hatte, ist geschehen. Nintendo ist Marktführer. Mit deutlichem Abstand befinden sich Xbox360 und PS3 auf den hinteren Plätzen, regelmäßig dominiert Nintendo die Softwarecharts. Ein Stück weit ist die Wii sogar zum Symbol für Videospiele in der Öffentlichkeit geworden. Ist die Revolution also gelungen? Ja und nein. Ja, weil Nintendo tatsächlich sein Ziel erreicht hat. Menschen, die sich nie für Videospiele interessierten, besitzen nun eine Konsole. Der Altersdurchschnitt der Spieler ist höher als bei der Konkurrenz, das lästige Kiddi-Image gehört der Vergangenheit an. Und all jenen, die im Vorfeld über Wii lächelten, wurde das Fürchten gelehrt.
Andererseits aber auch Nein, weil Nintendo bisher noch nicht alle Versprechen eingehalten hat. Was ist etwa aus Wiiconnect24 geworden, dem System, das niemals schläft? Die Idee dahinter klang hervorragend, erneut schienen die Möglichkeiten unendlich. Spiele, die sich selbst erweitern, eine Konsole, die ihren Besitzer mit neuen Inhalten überraschen kann. Doch die Realität sieht bisher anders aus.
Außer der Pinwand, die mit Leuchtsignalen auch bei ausgeschalteter Konsole auf neue Post hinweist, nutzt bislang kein Service, keine Funktion und mit dem nagelneuen Animal Crossing lediglich ein Spiel sinnvoll dieses System. Selbst Konsolenupdates müssen manuell durchgeführt und bestätigt werden – alles andere wiederspräche schließlich Nintendos Philosophie von Internetsicherheit.
Natürlich haben sich viele Spieler mit der Zeit auch ihre eigenen, teils utopischen Anwendungsmöglichkeiten ausgemalt, da Nintendo – wie üblich – wenig zur konkreten Nutzung von Wiiconnect24 bekanntgegeben hat. Dennoch kann es nicht im Interesse der Japaner gewesen sein, das System lediglich als Posteingangserinnerung zu integrieren.

Desweiteren nutzt von den bisher erschienenen Spielen nur ein kleiner Bruchteil die Bewegungssteuerung derart innovativ wie etwa Metroid Prime 3. Das vermeintlich neuartige Konzept wird häufig für Schüttelorgien missbraucht, das Schwingen des Controllers ersetzt einfach nur einen Action-Button. Zudem mangelt es noch immer an neuartigen Spielideen. Zwischen einfallsreichen Perlen wie De Blob, Wario Land, Okami oder Mario Galaxy, tummeln sich hunderte einfacher Minispielsammlungen. Diese werden zwar Nintendos Anspruch auf Zugänglichkeit gerecht, nicht aber dem auf Innovation und Qualität.
Doch der neue, unglaublich große Absatzmarkt voller vergleichsweise ahnungsloser Konsumenten ist für den schnellen Euro einfach zu verlockend. PC-Spieler, aber auch Besitzer der HD-Konsolen sind oft schon seit vielen Jahren als Spieler tätig, haben mehrere Systeme erlebt und Lieblingsgenres für sich entdeckt. Dem neu erschlossenen Markt an Wii-Käufern – Menschen, die das Thema Videospiele völlig jungfräulich angehen – fehlt es dagegen an Erfahrung und Kenntnis über die „Regeln“ der Branche.
Auch dieser Teil der Käufer hat natürlich ein Recht auf Spiele und gerade diesem Teil kommen einfach zugängliche Titel entgegen. Menschen, die einfach nur unkompliziert Spaß haben wollen, rufen nicht laut nach aufwendigen Produktionen. Sie bemängeln auch nicht die dürftige Versorgung der Wii mit hochwertigen Exklusiv-Titeln. Sie kaufen was da ist und was ihnen gefällt – genau wie der Kinogänger, der sich regelmäßig die neuesten Blockbuster anschaut. Vom Programmkino verwöhnte Cineasten schlagen die Hände über dem Kopf zusammen, belächeln den Mainstream und freuen sich stattdessen über ihre kleinere Auswahl an anspruchsvollen Filmen.

Und genau das ist die Revolution, die Nintendo bewirkt hat. Sie haben die Videospielwelt für den Massenmarkt geöffnet und dieser tastet sich nun an das Medium heran wie ein kleines Kind. Mangels Erfahrung wird alles probiert, selbst der größte Mist findet auf Wii derzeit seinen Absatz. Doch Stagnation ist keine der menschlichen Eigenschaften und die Käufer werden nicht auf diesem Level verharren. Sie werden konsumieren was da ist und irgendwann mehr verlangen. Vielleicht werden Oma und Opa nie zu Egoshooter-Fans, doch je mehr Spiele – auch Casual-Spiele – verkauft werden, je mehr die neue Zielgruppe das Medium für sich entdeckt, desto mehr werden auch diese Spieler ein Gespür für Qualität entwickeln. Zwischen spaßigen Gelegenheitsspielen wie Raving Rabbids oder Singstar und völligen Gurken wie Ninjabread Man besteht doch ein spürbarer Unterschied. Schließlich kann auch der Laie einen guten von einem schlechten Film unterscheiden.

Opfer dieses Entwicklungsprozesses sind zunächst die Hardcore-Gamer. Allein die Entstehung dieses Begriffs hat ernsthafte Spieler fast schon zur Randgruppe deklariert. Sie stehen plötzlich nicht mehr alleine im Mittelpunkt, vergleichbar mit einem Kind, das ein Geschwisterchen bekommen hat. Erstmals in der Geschichte der Unterhaltungssoftware konzentrieren sich viele Hersteller auf eine andere Zielgruppe als die, welche die Branche groß gemacht hat. Nintendo selbst kann dabei gar kein allzu großer Vorwurf gemacht werden – im Schnitt bringen die Traditionsjapaner pro Jahr mehr hochwertige Titel heraus als viele andere Softwareschmieden, auch wenn BigN mit Spielen wie WiiMusic einen deutlichen anderen Kurs fährt als früher. Dennoch, Zelda, Mario und Co. wird es auch in Zukunft geben. Ein Fehler war es dagegen möglicherweise, die Hardwareleistung der Wii derart stark zu limitieren, dass „große“ Multiplattformtitel für Dritthersteller einfach nicht attraktiv genug sind – so wie es NoA-Präsident Reggie Fils-Aime erst kürzlich forderte. Doch Fakt ist, das Zeitalter der Wii gehört nicht mehr den alteingesessenen Spielern – es gehört allen. Und wie die Eltern des neuen Geschwisterchens, konzentriert sich auch die Industrie zunächst auf die neue Zielgruppe.
Doch das wird nicht so bleiben. Statistiken besagen, dass viele Gelegenheitsgamer noch immer Wiisports spielen oder lediglich zwei, drei weitere Titel besitzen. Niemand wird sich also das zehnte Happy Funny Party kaufen, wenn er schon die Vorgänger besitzt, denn in einem Punkt sind doch alle Spieler gleich. Keiner gibt gerne unnötig Geld aus. Für die Generation Wii hat die Spielindustrie einen Goldesel gefunden und die Core-Gamer haben diesmal einfach das Nachsehen, spätestens in der nächsten Runde muss aber etwas Neues her.

Die Revolution ist also eher eine Evolution geworden. Nintendo hat die Videospielwelt nicht umgekrempelt – wirklich neuartige Spiele gibt es nach wie vor nur selten – sondern lediglich den nächsten logischen Schritt eingeleitet. Denn wie viele von uns haben nicht ihre Spielerlaufbahn ursprünglich mal mit irgendeinem kleinen, billigen Spielchen begonnen.

Happy Birthday Wii!

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